Leider kam immer mehr Regen. Es regnete nun wirklich jeden Tag. Eigentlich bin ich durchgehend in nassen Klamotten unterwegs. Doch bei 30 Grad wird es einem nie kalt.
Ich versuchte somit jeden Abend einen trockenen Zeltplatz zu finden, da ich es einfach nicht mag ein Zelt patschnass einzupacken, oder die ganze Nacht lang den Krach des Regens auf dem Zeltdach mit anzuhören.
So kam es an diesem Abend, dass ich mich in eine Tiefgarage eingeschlichen habe und mir so gar nicht sicher war, ob das eine gute Idee ist. Doch musste ich, während ich nach einem geeigneten Platz suchte, herzlich lachen, denn ein Japanischer Radler zeltete dort bereits.
In Japan hat sich meine alte Lebensweise wieder eingeschlichen. Ich stehe spät auf und gehe spät ins Bett. Das Land ist so sicher, dass ich auch nachts noch ohne Probleme ein Zeltplatz finde. Eigentlich habe ich seit Wochen mein Zelt nicht mehr im hellen aufgestellt. Besonders schöne Zeltplätze sind es dadurch nicht, aber eben trocken.
Japaner dagegen, leben hier in den abgelegenen Gegenden sehr mit dem Sonnenrythmus. Man steht extrem früh auf und geht extrem früh ins Bett. Sobald es dunkel ist, werden die Bürgersteige hoch geklappt, also bereits um 19 Uhr abends.
Mehrmals schon radelte ich an einem Wanderer vorbei und fragte mich beim 3.Mal, warum er denn eigentlich an der Strasse entlang läuft und warum er so schnell unterwegs ist.
So sprach ich ihn an und war überrascht, dass er Englisch kann.
Seinen Namen habe ich vergessen, ein Bild durfte ich von ihm nicht machen, aber das Treffen hat mich nachhaltig beschäftigt. Eines vorweg, es war mit der interessanteste Mensch, den ich seit langer Zeit getroffen habe.
Er wandert seit 3 Jahren. Jeden Tag 40 km entlang der Strasse durch Japan. Er hat zuvor 3 Jahre in Myanmar in einem Kloster verbracht und davor war er lange in Indien.
Sein Tagesbudget ist 300 Yen (etwa 2,30 Euro), welches er im nächsten Jahr auf 200 Yen reduzieren will. Seine Sachen sind uralt. Er schläft auf einer ultra dünnen Matte, kein Zelt, kein Luxus. Seine Schuhsohlen hat er mit extra Gummi beklebt, damit die Sohlen länger halten. Der Rucksack ist ein alter Alugestell Rucksack und an allen Ecken geklebt. Er klagte über Knieschmerzen.
Er macht nie Pause. Er geht Leuten aus dem Weg. Er liebt es zu leiden. Er hat keine Freunde und keine Familie. Er schläft immer abseits. Meistens in Schreinen. Er kocht nicht.
Er isst jeden Tag das Gleiche. Toastbrot beschmiert er mit Sojabohnenpaste. Dazu trockene Haferflocken. 3 Scheiben – 3 Mal am Tag. Er ist dünn. Etwa 65 Jahre.
Nun könnte man meinen, er sei sicherlich ein Sonderling. Doch kam ich gut mit ihm aus. Wir lachten herzlich, gingen zusammen einkaufen, er erklärte mir wie er sich ernährt und wo es das billigste Essen gibt und wo man evtl. etwas umsonst bekommen kann.
„Deutsche gehen ja nie über die rote Ampel“, meint er zu mir und ich musste kurz an ein Gespräch denken, was ich mit einem Deutschen führte, als wir uns über die Japaner amüsierten, weil sie an jeder noch so seltsam platzierten roten Ampel, niemals die Straße queren würden, wo unsereins, die Ampel einfach ignorieren würde.
Ich grinste also, als er mit dem Thema anfing und wir auf eine rote Ampel zu gingen. Und tatsächlich lief er über die rote Ampel, der einzigste Japaner, den ich bisher gesehen habe, der das gemacht hat.
Er grinste schelmig und ich meinte nur „wir Deutschen machen das aber auch“, woraufhin er sagte „Was wirklich? Das kann nicht sein! Ihr Deutschen seid doch so korrekt!“.
Manchmal ist es schon erstaunlich wie man den einzelnen Nationen ihren Stempel verpasst.
Nebel hing nun über der Küste. Immer wieder ging es endlos rauf und wieder runter. Weiterhin dichter Wald. Kein Verkehr, doch trotz des nassen Wetters fühlte ich mich pudelwohl.
Ich liebe dieses Land. Es ist einfach zu bereisen. Es ist wunderschön. Es macht einfach irre Spass hier unterwegs zu sein. Die Leute sind extrem freundlich. Es gibt kein Stress.
Es gibt mir meine Freiheit, die ich so liebe. Auch wenn es nicht das aufregende Abenteuer ist, strahlt es trotzdem einen sehr grossen Reiz auf mich aus.
Ich traf Catherine und Dan. Zwei Kanadier. Catherine unterrichtet Englisch an einer Uni und die beiden luden mich zu sich nach Hause in Kushiro ein. 3 Tage lang hatte ich ein Dach über dem Kopf. Sehr angenehm. Ein total nettes Paar.
Badewanne, Wäsche waschen. Ausspannen. Müsli Essen und endlich wieder eine richtige Unterhaltung führen können.
Das Wasser in einer Badewanne wechselt man nicht bei jedem Bad, nein, man wäscht sich ausserhalb der Wanne und steigt dann in das vorgeheizte Wasser. Eine elektronische Damenstimme spricht mit einem und sagt Bescheid, sobald das Wasser die gewünschte Temperatur erreicht hat.
Catherine nahm mich mit zu einer Tee Zeremonie. Oder besser gesagt, es war eine Einführung in die Tee Zeremonie. Eine ältere, sehr witzige, temperamentvolle Dame, leitete den Kurs. Ich war absolut herzlich willkommen.
Der ranghöchste Gast, in dem Fall Catherine, sitzt zuerst in der Reihe. Alle anderen folgen. Ich sass an zweiter Stelle. Teepulver wird per Schneebesen aufgeschäumt und ist extrem bitter im Geschmack.
Es geht bei der Zeremonie allerdings nicht um den eigentlichen Tee, sondern viel mehr um das Ritual. Geredet wird nur mit dem Ranghöchsten. Small talk. Die Abläufe sind immer gleich. Das Porzellan wird bewundert und dabei immer in der gleichen Richtung gedreht, man bedankt sich zig mal, verbeugt sich, ehrt den anderen, lobt den Tee etc.
Eine doch sehr formelle, spiessige, extrem steife Veranstaltung mit viel Ruhe und Rücksichtsnahme untereinander. Ich fand es irre spannend, wenn es auch in einem Klassenraum stattfand und somit nicht den richtigen Flair hatte.
Von Kushiro fuhr ich ins Landesinnere. Weiterhin begleitete mich wunderschöner, endloser, dichter Wald. Hokkaido muss man einfach klasse finden. Die Insel ist bezaubernd und ein echtes Radlerparadies. Wenig Verkehr und weiterhin nur nette, gebildete Menschen.
Japan ist das Land der Tunnels. Es gibt sie wirklich an jeder Ecke. Doch sind es meistens angenehme Tunnels, die ja normalerweise der Schrecken eines jeden Radlers sind. Aber oftmals gibt es abgetrennte Fusspfade an der Seite, die so breit sind, dass ich sogar darauf radeln kann. Auch das Belüftungssystem ist sehr gut, ich habe noch keinen Tunnel erlebt in dem ich dachte ich ersticke.
Akan National Park besticht durch seine Kraterseen. An jeder Ecke Onsens, Camper und tolle Aussichten. Ab jetzt traf ich keine Radler mehr. Die Küste hatte ich hinter mir und anscheinend ist den meisten Radlern die Bergwelt zu anstrengend.
Ich weiss nicht wie die Eltern es hier in Japan schaffen ihre Kinder so zu erziehen, wie sie sind, aber eines fällt sehr auf, die Kinder sind extrem rücksichtsvoll den Älteren gegenüber.
Ich lief in einem Supermarkt einen engen Gang entlang und hatte einiges in der Hand. Ein Einkaufswagen stand im Weg und ein etwa 8 Jähriges Mädchen erkannte die Situation sofort und kam zu mir her und schob den Wagen zur Seite. Wow, das hat mich beeindruckt. Wenn ich auch nicht so richtig weiss, wie ich das finden soll.
Kinder sind hier auch nicht laut oder zerren an ihren Eltern wenn es nicht nach ihrer Nase geht.
Sie sind sehr schüchtern. Einige haben sogar Angst vor mir. Bei manchen sieht es wirklich so aus, als ob sie noch nie einen Ausländer gesehen haben. In abgelegenen Dörfern kann das auch sicherlich der Fall sein. Doch ist das Eis gebrochen, lachen sie mit mir und kommen neugierig, aber schüchtern auf mich zu.
Auf Hokkaido sieht man sehr wenig Ausländer. Hier gibt es keine Einwanderer. Die Leute sind Fremde nicht gewohnt. Es gibt hier keine Italienischen Restaurants.
Oder den Inder an der Ecke. Den Chinesen oder Türken wo es Kebap gibt. Nein. Es gibt hier nur Japaner.
Auch die Erwachsenen sind sehr schüchtern. Teenager bemühen sich mich zu verstehen, wenn ich etwas frage, aber ich merke wie sehr ich sie aus der Fassung bringe, allein durch meine Anwesenheit und der Tatsache, dass sie nun Englisch sprechen müssen. Sie sind schlichtweg total überfordert.
Trotz allem sehr sehr höflich und sehr hilfsbereit.
Höhenmeter, Höhenmeter und mehr Höhenmeter. Rauf und runter und kein Ende der Berge in Sicht. Dafür bezaubernd schöne Aussichten.
Das Essen ist nicht schlecht. Sushi ist eines meiner Lieblingsessen, aber hier in den abgelegenen Regionen, muss ich sagen finde ich das Essen eher eintönig.
Sehr mild wird hier gewürzt.
Es gibt Ramen, Nudelsuppen, in allen Variationen, die auch echt lecker sind. Aber es ist irgendwie doch halt immer eine Nudelsuppe. Dann hat es Udon, dicke Nudeln. Eine andere Variante der Nudelsuppe. Es gibt Spiesse und es hat gebackene Tempura. Also Gemüse oder Fisch in einer Panade eingelegt und im Fett gebacken, etwas was ich gar nicht mag. Und es gibt Curry mit Reis. Eine dicke Currysosse mit ein paar Brocken Fleisch.
Ich selber koche eigentlich oft ebenso Nudelsuppe. Miso (Sojabohnenpaste) mit Nudeln, dazu Sojasprossen, Pilze und Tofu. Ein sehr billiges Gericht. Gesund, aber eben nicht wirklich
abwechslungsreich, allerdings schnell und einfach zu kochen.
So ein bisschen bin ich von der Küche enttäuscht. Ich hatte mehr erwartet. Zumal es auch nicht wie in anderen Ecken Asiens irgendwelche Garküchen an der Strasse gibt, sondern es sind immer kleine Lokale.
Mittagessen kann man für etwa 5 Euro. Mache ich allerdings sehr selten, oft finde ich auch nur schwer Lokale. Zu meiner grossen Überraschung darf man in Restaurants rauchen.
Zudem schlürfen die Japaner, was ich nicht erwartet hätte. Es stört mich nicht, nur passt es nicht so richtig zu den sonst so braven, wohl erzogenen, extrem schüchteren Leuten, wenn man es aus der Sicht eines Westlers sieht.
Was auch auffällt, dass es an manchen Ecken, in Garagen oder Vorgärten gar nicht mal so aufgeräumt ist. Es manchmal sogar sehr chaotisch aussieht. Auch hier sind Menschen eben Menschen und sind eben auch nicht nur perfekt und so super rein und gepflegt wie man immer denkt oder über sie hört.
Ich zeltete am Rande, also ausserhalb des Zaunes einer Kläranlage und dachte eigentlich, dass das kein Problem sei. Doch morgens kam ein Mann zu mir ans Zelt.
Er lief bereits in gebückter Haltung, schlich ganz langsam und leise in meine Richtung und verbeugte sich ersteinmal super höflich und fing ganz ruhig an zu mir zu sprechen. Ich verstand zwar kein Wort, aber klar war, dass ich zusammen packen sollte.
Er war so freundlich, dass ich niemals widersprochen hätte und das ist das was mich hier so extrem beeindruckt. Man könnte aus unserer Sicht heraus meinen, das Verhalten ist doch albern. Aber es ist auch sehr angenehm und zielführend. Der Mann ehrte mich, obwohl ich etwas falsch gemacht habe. Er hat auf seine nette Art und Weise mehr erreicht als jemand der mit mir gemeckert hätte und ich vielleicht dann trotzig reagiert hätte.
Trotz allem ist es für mich weiterhin schwierig diese ewigen Verbeugungen zu erwidern. Es widerstrebt mir einfach mich vor jemanden zu verbeugen, der beim 7-Eleven das Geld entgegen nimmt. Ich versuche mein Bestes mich anzupassen, aber es bleibt einfach seltsam und fremd.
Die Lockerheit fehlt in dem Land und das ist auf Dauer natürlich auch irgendwo anstrengend. Nicht für mich, aber sicherlich doch für die Japaner selber.
Auch beobachte ich, dass Japaner es so sehr gewohnt sind als Kunde der König zu sein, dass sie es gar nicht mehr schätzen, wie nett sie behandelt werden. Was ich wirklich schade finde.
Eines ist sicher, Japan, oder sagen wir Hokkaido, hat den besten Kundenservice, den ich je irgendwo in den 85 Ländern, in denen ich bisher gewesen bin erlebt habe.
In manchen Supermärkten erwähnt die Kassiererin jedes einzelne Produkt was sie in die Kasse eintippt, nochmals bevor sie es in die Tüte packt. Manchmal denke ich aber auch, das ist jetzt dann doch ein bisschen zu viel des Guten und bringt doch dem Personal nur Stress und der Kunde reagiert ja oftmals gar nicht darauf.
Ich zeltete auf einem Rasen direkt neben einem Besucherzentrum und wachte morgens wieder einmal inmitten von Ameisen auf. Mit Schrecken musste ich feststellen, dass sie sich durch den Zeltboden durchgefressen hatten und 11 Löcher in mein nagelneues Zelt gefressen hatten.
Auch in den Taschen waren sie. Wie sie dort hinein kamen kann ich mir nicht erklären.
An dem gleichen Morgen kochte ich mir meine letzte Portion Soba (Buchweizen Nudeln) die ich noch in meinen Taschen hatte, als ich ausversehen an den Kocher gestossen bin und der Topf umkippte und die ganzen Nudeln auf dem Teer klebten. Ich hatte Bärenhunger, weil ich am Vortag wieder einmal zig Höhenmeter gesammelt hatte und am heutigen Tag wieder jede Menge vor mir hatte. Leider war es aber ein Sonntag und in dem Kaff war alles zu.
Am Ende fragte ich bei einem Onsen nach etwas Essen und bekam gekochten Reis geschenkt, der mich bis zum nächsten Lokal am Ende des Tages über die Runden brachte.
Irgendwann landete ich wieder an der Küste und bewunderte weiterhin die tolle Landschaft. Nach fast 7 Wochen und 2250 Kilometern wurde es nun langsam Zeit die Insel zu verlassen und nach Honshu weiter zuradeln. Die Hauptinsel Japans.
Viele haben mir bereits gesagt, dass Hokkaido nicht so richtig Japan sei, in Honshu würde sich vieles ändern. Ich bin also gespannt, wie es weiter geht.
Eines ist klar, Hokkaido war sensationell.
Ich komme gerne wieder.
Die Sache mit den Tunnels: Da hab ich auf dem Weg von Obama nach Tottori auch ganz gute gefunden. Aber vorher vom Biwa-See nach Obama hatte ich schreckliche Erlebnisse. Zu schmale Tunnels ohne Beleuchtung und ohne Seitenstreifen für Radfahrer und viele LKWs.
Einmal bin ich ausgerutscht auf dem nassen, schlammbedeckten Randstreifen. Wenn genau in dem Moment ein LKW gekommen wäre …
Bei mir waren die alle richtig klasse – habe ich wohl Glueck gehabt !!! LG Heike