Ich entschied mich für den Iran und musste somit wieder Richtung Westen, ins 300km entfernte Erzurum fahren, um mir dort auf dem Konsulat ein iranisches Visum zu besorgen. Zudem hatte ich mir neue Reifen, warme Kleidung, Kartenmaterial und diverse andere Dinge von daheim an ein Hotel in Erzurum schicken lassen. Der Einfachheit halber nahmen wir den Bus und nahmen sicherheitshalber die Räder mit, falls es zu irgendeiner Planänderung kommen sollte.
Leider fing ich mir gleich am ersten Abend eine heftige Lebensmittelvergiftung ein und verbrachte viele Stunden auf der Toilette. Bei Hockklos, wie es sie hier ausschließlich zu finden gibt, sind solche stundenlangen Aufenthalte besonders unangenehm, denn irgendwann spürt man einfach seine Beine nicht mehr.
Die Zeitung jedenfalls liest hier sicherlich niemand auf der Toilette.
Für das iranische Visum brauchte ich 2 Passbilder mit Kopftuch, lächeln leider verboten.
Irgendwie war mir auch nicht zum Lachen zumute. Ich kam mir verkleidet vor, fühlte mich unwohl und mir wurde erst in diesem Augenblick so richtig bewusst, dass ich dieses Kopftuch nun während meines gesamten Aufenthaltes im Iran tragen muss. Mir ging durch den Kopf, dass ich freiwillig in ein Land fahren werde, welches mir vorschreibt, wie ich mich zu kleiden habe. Schon irgendwie verrückt und doch ist es eben Teil einer Kultur, die ich mir gerne ansehen möchte und da gehört die Kleiderordnung eben dazu. Es gibt sicherlich schlimmeres und somit wischte ich den Gedanken wieder beiseite.
Das Visum hatte ich innerhalb von 2 Tagen, doch das Paket lies leider auf sich warten.
Rafael verabschiedete sich zwischenzeitlich und flog nach Istanbul und ich versuchte einigermaßen mit den Tagesrhythmen der WG´ler klar zu kommen, denn ich schlief im Durchgangszimmer. Frühstück war um 14 Uhr, Abendessen gegen 22 Uhr und Nachtruhe ab 4 Uhr.
Nach 10 langen Tagen bei Mevlüt, die auch vom kulturellen Aspekt her wieder einmal sehr anstrengend waren, wechselte ich zu Mehmets WG. Ich fühlte mich dort deutlich besser aufgenommen, wenn ich auch jede Nacht mit dem Geballere eines Computerspiels in den Schlaf geschossen wurde.
Ich hatte das erste Mal richtig Heimweh. Ich sehnte mich nach gleich denkenden Menschen und nach der Möglichkeit, mich mal wieder richtig unterhalten zu können. Zu meiner seelischen Entlastung griff ich immer öfters zu meinem MP3 player und hörte „Neue deutsche Welle“.
Zufälligerweise traf ich Stephan, ein Weitwanderer, der zu Fuß von Deutschland nach Tibet unterwegs ist und mich mit seiner ruhigen Art beeindruckte. Er gab mir ein paar neue Sichtweisen mit auf den Weg, die vor allem meine Reisegeschwindigkeit betrafen. Weniger ist oft mehr und da gab ich ihm absolut Recht. Es war ein spannender Abend und es war eines dieser menschlichen Begegnungen, die noch lange nachwirken werden. Ich war dankbar ihn getroffen zu haben.
Fast täglich ging ich zur Post, doch jeder Versuch den Postweg in irgendeiner Form zu beschleunigen scheiterte. Am Ende wartete ich ganze 16 Tage in der Stadt und das Paket war insgesamt 30 lange Tage unterwegs gewesen. Am Tag an dem das Paket in Erzurum eintraf, wurde ich per Postauto ins Postlager gefahren, suchte dort zusammen mit einem Angestellten unter einem riesigen Haufen Pakete meines heraus und wurde netterweise sogar per Postauto wieder zur WG zurück gefahren.
Irgendwie war ich ausgebrannt, müde und lustlos. Die Türkei hatte mich viel Energie gekostet und somit hatte ich das Gefühl ein wenig Abstand zu brauchen. Abstand vom Islam, Abstand von einer Männerdominierenden Gesellschaft. Ich kam mit der Kultur einfach nicht klar. Ich verstehe nun auch immer mehr warum viele Türken bei uns im Land Integrationsprobleme haben.
Der kulturelle Unterschied ist einfach zu groß. Die Welt rückt immer näher zusammen, die Globalisierung ist in vollem Gange und doch sind die verschiedenen Kulturen noch Lichtjahre voneinander entfernt.
Ich kam an den Punkt mir selber eingestehen, dass ich meine westliche Denkweise nicht einfach ablegen kann und mich in die Gedankenwelten einer türkischen Frau oder eines türkischen Mannes wieder finden kann. Ich fing an zu akzeptieren und nicht mehr zu hinterfragen.
Ich wollte einfach für eine Weile meine Ruhe haben.
Um neue Kraft zu tanken wählte ich die Route Richtung Norden. So vorbelastet wie ich war, wäre es unangebracht gewesen, sofort in den Iran zu fahren.
Somit wollte ich den Kaukasus Staaten noch einen Besuch abstatten, obwohl mir durchaus bewusst war, wie kalt es werden wird.
Pünktlich mit meiner Abfahrt fing es an zu regnen. Super, auch das noch. Ich tat mir schwer wieder im Sattel zu sitzen, gegen den Regen und die Kälte zu kämpfen und ebenso gegen die Gedanken, die ständig in die gleiche Richtung gingen. Warum mache ich das eigentlich?
Zeitgleich mit mir war ein Iraner am Grenzposten. Man ließ ihn nicht passieren.
Mir wurde wieder einmal bewusst, wie privilegiert ich doch bin. Ich habe das große Glück einen deutschen Pass zu besitzen, der mir erlaubt, einfach mit dem Fahrrad über fast jede Grenze dieser Welt zu radeln. Irgendwie ist das einfach total klasse, bedenkt man unsere deutsche Vergangenheit. Viele Menschen weltweit wären froh sie dürften wenigstens in ihr Nachbarland reisen.
Ich bin ehrlich, als mir der georgische Grenzer ein Lächeln schenkte, als er hörte, dass ich Deutsche bin, viel mir ein Stein vom Herzen. Es goss in Strömen, doch innerlich schien bei mir die Sonne. Ich hatte es geschafft. Nach 2 Monaten und fast 2500km verließ ich ein Land zu dem ich nun ein sehr gespaltenes Verhältnis aufgebaut habe. Auf der einen Seite die überaus bemerkenswerte Gastfreundschaft, die ich in vollen Zügen genießen durfte und auf der anderen Seite einige sehr negative Erlebnisse, die mich sehr verunsichert haben.
Das Land wird mich sicherlich noch eine Weile beschäftigen, obwohl ich versuchen möchte die Gedanken etwas zu reduzieren und mich auf Neues zu konzentrieren. Mal sehn wie es mir gelingen wird.
Witzigerweise fragte mich der Grenzpolizist noch, ob mein Rad ein Kennzeichen besitzt. Ein kurzes Grinsen meinerseits, dann bekam ich einen Stempel, Aufenthaltserlaubnis 365 Tage.
Die Uhr stellte ich um 2 Stunden vor.
Am See Paravani, kurz vor der Passhöhe auf 2100m, entdeckte ich ein kleines Restaurant. Ein Glück gab es dort eine Heizung. Ich bestellte einen cay und wurde von zwei Türken zum Tisch hinzu gerufen und durfte mit ihnen gebackene Forelle und gegrilltes Lamm genießen. Ich fragte nach einer Unterkunftsmöglichkeit und der Besitzer des Ladens zeigte mir sein Bett im Wohnwagen und meinte ich könnte ja mit ihm hier in seinem Bett schlafen. No Sex betonte er.
Das war mir dann doch etwas zu heftig. Ein anderer Mann wurde angerufen, der mich zu einem total verfallenen Haus führte. Die Fenster waren zerschlagen, der Wind pfiff nur so durch die Räume. Keine Heizung, kein Wasser, kein Strom nur ein paar Kerzen. Es würde auch nichts kosten meinte er. Aber irgendwie wollte er nicht gehen und meinte dann nach einer Weile, ich solle doch bei ihm schlafen, es sei ja viel zu kalt hier. Gute Idee.
In der Nacht hatte es weit unter Null Grad und bei seiner Familie war der Ofen an. Sie hatten sogar Internet und eine Waschmaschine. Nur fließend Wasser hatten sie keines und das Klohäuschen stand im Hof. Die Frauen fragten mich am nächsten Morgen nach Geld, dem Mann war das sichtbar peinlich und ich wusste nicht, was ich tun sollte. Schlussendlich gab ich Ihnen etwas Geld.
Der Boden war immer noch gefroren als ich los fuhr, ich denke er wird vor dem Frühling auch nicht mehr auftauen. Die Flüsse und Bäche hatten teilweise schon Eis an den Rändern gebildet und die Brunnen waren bereits total vereist.
Viele torkelnde Leute, jede Menge kläffende Hunde und nur verfallene Häuser. Ein Bild was ich so schnell nicht vergessen werde. Ich fragte bei der Polizei nach einem Hotel. Gibt es keines. Doch andere Leute wiederum meinten, es gäbe sehr wohl eines. Schlussendlich fand ich sogar zwei. Ein Betrunkener half mir den Besitzer des einen Hotels anzurufen. Wir standen vor einem Haus am Waldesrand und es war schon fast finster.
Kein Mensch weit und breit, kein Licht, nichts. Es gäbe weder Heizung, noch Strom, noch Wasser, noch Toilette und es kostet trotzdem 25 Euro die Nacht. Das andere Hotel war geschlossen. Ich ging zurück zur Polizei und fragte ob ich mein Zelt direkt neben das Polizeigebäude aufstellen dürfte, denn für mich erschien dieser Ort als der sicherste Platz im ganzen Umkreis. Nein. Aber sie fingen an zu telefonieren und kurze Zeit später betrat ein Mann das Gebäude. Ich solle ihm folgen. Es war mittlerweile stockdunkel. Es gab weder Laternen noch brannte irgendwo ein Licht. Ich folgte also diesem Herrn durch die dunkle Nacht, an zig verfallenen Häusern vorbei. Der Weg wurde immer schmaler und matschiger und es wurde irgendwie immer gruseliger.
Am Ende kamen wir in ein eiskaltes, aber sehr schönes Haus. Keine Familie, nur er und ich. Kein Licht in der Nachbarschaft. Ich dachte nur, na super. Aber nachdem die Polizei das ja organisiert hatte, kann ja nichts anbrennen, redete ich mir die erste halbe Stunde pausenlos ein.
Er feuerte den Ofen an, kochte Kartoffeln und cay, zeigte mir, wo ich schlafen werde und schlussendlich entpuppte er sich als ein wirklich netter Kerl. Er war Friseur und ein Kunde kam plötzlich zum Haare schneiden aus der finsteren Nacht herein.
Am nächsten Morgen frühstückten wir zusammen und anschließend begleitete er mich noch bis zur Dorfstraße.
Das ist sehr spannend zu lesen,und man kann gar nicht glauben, dass es so etwas heute noch gibt. Danke
Danke Ekkehard….