Was war plötzlich los mit mir? Oder hatte ich das Gefühl schon eine ganze Weile und wollte es mir nur nicht eingestehen? Ich war nicht mehr die Heike, die sich freute und gerne quälte um die nächste Bergetappe zu überwinden und den Ausblick zu geniessen. Ich war auch nicht mehr richtig fähig langweilige small talks zu halten.
Ich hatte keine Lust mehr mich immer wieder anzupassen, höflich zu sein und zudem mich von irgendwelchen Haustieren abschlecken zu lassen, die mir in Hausfluren entgegengerannt kamen. Ich wollte auch nicht mehr die immer gleiche story erzählen, weil ich immer wieder das gleiche gefragt werde und alles schon 1000 Mal erzählt habe.
Ich war müde. Meine Beine wollten nicht mehr strampeln. Mein Kopf wollte nicht mehr denken und versuchen das Leben zu verstehen.
Ich sehnte mich nach gleich denkenden Menschen. Nach Menschen, die weiter denken, die offen sind, die sich für mehr interessieren als nur für ihren Hund und den Nachbarn und sich zudem stundenlang darüber beschweren wieviel Steuern sie zu bezahlen haben, anstelle froh darüber zu sein, dass sie auf der Sonnenseite der Welt geboren worden sind.
Es soll auf keinen Fall wertend oder arrogant klingen. Auch möchte ich nicht sagen ich sei intelligenter oder was besonderes. Nein, ganz sicher nicht. Aber meine Welt ist eine andere, als die der meisten anderen Menschen. Ich habe andere Themen die mich interessieren. Fragen die sich automatisch aufwerfen, wenn ich mit offenen Augen durch die Welt radle.
Ich habe extrem oft ganz liebe Menschen getroffen, die mich immer wieder aufgenommen, verpflegt und auch unterhalten haben, oder besser gesagt meistens habe ich sie unterhalten. Begegnungen und Möglichkeiten für die ich sehr sehr dankbar bin.
Doch wieviele Leute fallen mir ein, mit denen ich wirklich interessante Gespräche geführt habe? Bei denen es über das übliche blah blah blah hinaus ging. Bei denen ich mich richtig wohl gefühlt habe und eine Freundschaft entstanden ist. Mit wievielen habe ich philosophiert und versucht Lösungen für Fragen zu finden?
Es waren nur ganz wenige. In nun fast 3 Jahren einfach zu wenige.
Bin ich zu anpruchsvoll? Erwarte ich zu viel? Was mache ich falsch?
Ich gehöre zu denen die anders sind, nicht die anderen. Oder geht das anderen auch so? Höchstwahrscheinlich ja, vor allem je älter die Leute sind, desto schwerer finden sie wahre Freunde.
Nachdem ich mir immer die Wege aussuche, die abseits der Touristenpfade sind, komme ich leider seltenst in Berührung mit anderen Reisenden, die ähnliche Gedankengänge aufweisen.
Dabei geht es mir nicht darum über meine Reise zu erzählen. Ich kenne meine Erlebnisse, nein, es geht mir um eine gemeinsame Basis.
Ein Sportler geht in den Sportverein. Ein musikalischer Mensch in den Chor. Ein Hundeliebhaber auf den Hundeplatz und ein Schachspieler in den Schachclub. Sie alle suchen nach Menschen die ihre Interessen und Sichtweisen teilen, weil sie es sonst schwierig fänden sich auszutauschen.
Wir Menschen brauchen andere Menschen um uns zu entfalten und uns wohl zu fühlen. Wir alle haben unsere Zeiten wo wir gerne alleine sind, aber auf kurz oder lang brauchen wir Freunde und Gleichgesinnte um glücklich zu sein.
Ich hatte keinen Drang mehr nach Alaska zu radeln. Eine Ecke der Welt die ich seit meiner Kindheit besuchen wollte. So kurz vor dem Ziel schreckte mich die weite Strecke dort hin total ab. Mich quälte jeder Kilometer. Ich hatte ähnliche Gefühle immer wieder während der letzten drei Jahre, ja, aber diesmal hatte ich den Eindruck sie seien schwerwiegender.
Ich sass bereits seit einer Woche auf der Insel Haida Gwaii bei Carol, einer alten Dame, die mich in ihr Haus eingeladen hatte. Auf ihrer Couch wartete ich auf einen Stimmungswechsel der leider nicht kam. Kurz vor meinem 3-jährigen Fahrradweltreise Jubiläum schien die Reise einen weiteren Wendepunkt zu haben.
Ich hatte den Travel-Blues, einen Reise burn-out. Einen Zustand den wohl viele, wenn nicht sogar jeder Langzeitreisende irgendwann einholt.
Warum hatte ich ihn? War ich zu schnell unterwegs? Hatte ich Ziele aus den Augen verloren? War es nur die Einsamkeit die mir zu schaffen machte? Ist alles zur Routine geworden und dadurch langweilig? Warum hatte ich zu gar nichts mehr Lust?
Was tun? Wird es Zeit mich irgendwo niederzulassen? Wo wäre der geeignete Platz dafür? Wird es Zeit für eine längere Pause an ein und dem selben Ort? Wie geht das eigentlich eine lange Pause machen? Was mache ich in der Zeit und wie vermeide ich es mich dann nicht zu langweilen? Wird es Zeit nach Hause zu gehen? Würde ich zu Hause an mein altes Leben anknüpfen können oder finde ich den Weg für ein neues Leben?
Das einzigste was ich wusste war, egal wo ich hingehen würde, es wäre nicht der richtige Ort und daher beschloss ich einfach nirgendswo hinzugehen und mich der Aufgabe zu stellen, die Zeit zu überstehen und irgendwann in ein paar Wochen, so hoffte ich, wieder mit frischem Schwung in die Pedale zu treten. Die Pedale die mich in den letzten Wochen so sehr quälten.
Ich merkte auch, wenn ich Pläne machte wie es weiter gehen könnte, dass ich oftmals an Ecken der Welt dachte, die ewig weit weg waren. Ich war in Kanada und träumte von Australien, Argentinien oder Afrika.
Aber ich war in Kanada, ein Land das eigentlich ein Outdoor Paradies ist. Warum wollte ich weg und warum sollte es woanders besser sein. Es lag nicht an Kanada. Es lag an mir. Und kein anderes Land wäre das richtige im Moment, das war sicher.
Haida Gwaii war sicherlich ein guter Ort um den Kopf wieder frei zu kriegen und um Platz zu schaffen für neues. Eine wunderschöne Inselgruppe im Westen Kanadas. Weit weg von Lärm, Verkehr und Stress.
Doch wie bin ich eigentlich auf diese Insel gekommen? Denn mein Erlebnis Kanada fing ja mit der Fähre an, die mich von Port Angeles in den USA nach Victoria auf Vancouver Island brachte.
„Warum kommen Sie nach Kanada?“ fragte mich die Grenzbeamtin. „Ich möchte mir die Schönheit des Landes anschauen.“ „Wie lange sind sie schon unterwegs?“ „Seit fast 3 Jahren“. „Seit fast 3 Jahren?“ fragte sie erstaunt zurück. „Moment, sie warten mal hier drüben, dann wird ein Beamter ihnen ein paar weitere Fragen stellen, denn ich frage mich wie sie das finanzieren.“
„Ihren Pass bitte“, lächelte der nette Beamte mir zu. Nach 5 Minuten kam er wieder und meinte: “Wow, das ist ja eine super Reise, die Sie da machen.“ „Oh danke, haben Sie mich gleich gefunden?“ fragte ich ihn. „Sie zu finden ist ja nicht schwer, ausserdem ist Leute finden mein job. Viel Spass in Kanada.“
Herzlich willkommen im 31. Land meiner derzeitigen Fahrradweltreise. 6 Monate darf ich in Kanada bleiben, ich habe somit jede Menge Zeit. Wobei Zeit ja immer relativ ist. Bedenket man die Gröβe des Landes sind natürlich 6 Monate absolut lachhaft.
Kanada empfing mich mit wunderschönem Wetter. Nach all dem vielen Regen in den letzten Wochen war das natürlich ein Genuss.
Victoria ist eine schöne Stadt. Die Lage beeindruckend und die Häuser first class. Mein Gastgeber fuhr mich zudem zu mehreren Stellen im südlichen Teil von Vancouver Island. Was mich dabei am meisten beeindruckte war das Meer und die vielen zauberhaften Bäume, die die Gegend schmückte. Ausserdem ausgefallene Fundstücke am Strand, tolle Steine und interessante Pflanzen.
Ich bin kein Strandfan. Weisser Strand, Badewannentemperaturen und ruhiges plattes Meer und nichts zu sehen. Traumstrände für andere – gähnende Langeweile für mich.
Doch diese Strände hier sind anders. Die Küste ist rauh, die Berge schneebdeckt. Der Strand voller Holzstämme, groβen Steinen und jede Menge Leben in und um das Meer. Der Wind pfeift und der Himmel ist voller Weisskopfadler.
Totempfähle begeisterten mich. Wunderschöne Kunststücke die wir an vielen Ecken der Insel entdeckten.
Von Victoria ging es weiter nach Vancouver wo mich Catherine erwartete. Ich traf Catherine und ihren Partner Dan in Japan und schon damals sagten sie mir.: „Wenn Du mal nach Kanada kommen solltest dann bist Du jederzeit herzlich willkommen.“ Und da war ich nun.
Dan war leider in Alberta, doch wir zwei Mädels machten uns eine super Zeit zusammen. Catherine ist klasse und gehört ganz sicher zu den besonderen Menschen der letzten drei Jahre, Menschen bei denen ich mich richtig wohl fühlte.
Catherine versüsste mir die Zeit mit Kayaking, Sightseeing, Treffen mit ihren Freundinnen, interessanten Gesprächen und leckerem Sushi Essen, das uns Dan spendierte.
Vancouver ist faszinierend. Voller Chinesen, teuer, feudal, international und sicherlich eine der schönsten Städte der Welt. Doch ehrlicherweise zog es mich nach Vancouver nur aus zwei Gründen. Das eine waren Catherine und Dan und das andere war das US Konsulat für ein US Visum.
Die USA hatte kurz nach meiner zweiten Einreise in die USA die Gesetze geändert. Jeder Reisende der seit 2011 unteranderem im Iran war kann das Visa Waiver Programm nicht mehr nutzen, sondern braucht von nun an ein richtiges Visum.
Ein Visum für die USA ist aber leider nicht immer einfach zu bekommen, schon gar nicht wenn man kein Einkommen nachweisen kann. Man braucht einen Termin für ein Interview und muss zuvor alle möglichen Daten zur Verfügung stellen und 160 Kanadische Dollar bezahlen, das dann allerdings noch lange keine Garantie für ein Visum ist. Kanada wäre ohne US Visum eine Sackgasse und das Aus für Alaska.
7 Uhr morgens war mein Termin beim US Konsulat in Vancouver. Mit vielen vielen anderen Leuten, hauptsächlich Indern und Chinesen, stand ich in der Reihe auf der Strasse und wartete auf das was da kommen wird. Absolut gar nichts durfte ich mit ins Gebäude nehmen ausser meine Papiere die ich vorweisen musste.
Freundliche Leute, Fingerabdrücke, ein paar Fragen, angenehmes Lächeln und 15 Minuten später hatte ich die Zusage für ein Visum. Ich konnte es erst gar nicht glauben, aber es war einfacher als ich je gedacht hätte.
Ich kann nun die nächsten 10 Jahre für jeweils bis zu 6 Monate ins Land einreisen. Wow, ob ich das je nutze bezweifle ich, aber ich kann auf jeden Fall nach Alaska und wieder in die unteren 48 Staaten einreisen und muss nicht aus Kanada ausfliegen.
Catherine und ich erlebten noch eine absolute Sensation, denn in der Englischen Bucht, der Strand der Städter, tauchte plötzlich ein Buckelwal auf. Was für eine Show!!!
An der Sunshine Coast ging es entlang vieler Kurven und einigem Verkehr Richtung Norden. Kaum zu glauben fand ich immer wieder die Prunkbauten die hier überall stehen. Die Leute haben hier Geld, viel Geld.
Axel, ein Berliner Künstler, hat sich hier niedergelassen und sein ganzes Grundstück mit seiner ausgefallenen Kunst dekoriert. Ein witziger Typ.
Hans, ebenso Deutscher, gabelte mich kaum später auf der Strasse auf und lud mich für eine Nacht ins Haus ein.
So richtig Begeisterung konnte ich für diese Ecke Kanadas nicht aufbringen. Bäume, Verkehr und zugebaute Ecken. Das beste waren die Fährpassagen – die landschaftlich am eindrucksvollsten waren.
Vancouver Island erreichte ich von Powell River aus und hoffte, dass die Strecke von Comox nach Port Hardy beeindruckender sein wird. Leider aber konnte ich auch hier nicht so richtig das finden was ich erwartet hatte.
Bäume, Bäume und noch mehr Bäume zierten die Strasse nach Norden. Anfangs noch ab und zu ein paar Ausblicke entlang des Meeres, radelte ich schon bald durch einen grünen, langweiligen Korridor voller Tannen. Zu oft donnerten zudem grosse 4×4 Jeeps an mir vorbei, die meine Stimmung nicht gerade verbesserten.
Sicherlich gibt es auf Vancouver Island ganz tolle Ecken, doch dann vom Wasser aus oder als Wanderung – aber das Fahrrad scheint nicht der beste Weg zu sein die Insel zu erkunden. Zumindest nicht dort wo ich war.
In Port Hardy traf ich Bryan und Kathryn mit denen ich die Fähre nach Prince Rupert nahm. Die weltbekannte Fährpassage, die entlang der Inside Passage an einer Insel nach der anderen vorbei schippert. Delfine begleiteten uns ein kurzes Stück, für mich das Highlight der Zeit an Bord der Fähre.
In Prince Rupert ging es dann den gleichen Tag weiter nach Haida Gwaii. Die Insel auf der ich gerade bei Carol sitze, mich von ihren beiden Hunden abschlecken lasse, mich kulinarisch total verwöhnen lasse und mich minütlich frage wie meine Reise eigentlich weiter gehen soll.
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