Als ich Yushu verlies, war es ausnahmsweise einmal sonnig und warm. Außerhalb der Stadt gab es eine riesige Mani-Mauer. Dort legen Gläubige ihre bemalten und beschrifteten „Om mani padme hum“ Steine ab. Ehre sei mit Dir, Du Juwel in der Lotusblüte.
Jede Menge Tibeter liefen mit ihren Gebetsmühlen im Uhrzeigersinn um die Tempelanlage und murmelten dabei immer und immer wieder „Om mani padme hum“ vor sich her. In der Hand eine Perlenkette, die sie durch die Finger gleiten lassen. Bei jeder Perle, ein weiteres Mal das Aufsagen des Gebetsspruches. Teils saßen die alten Leute in uralten, bereits zerfetzten Sesseln, direkt an einer großen Gebetsmühle und drehten die schwere Mühle stundenlang immer und immer wieder im Uhrzeigersinn.
Die Atmosphäre war atemberaubend. Im Inneren der Anlage brannten die Butterkerzen, Dalai Lama hing an jeder Wand und zig Gebetsfahnen wehten im Wind. Trotz der vielen Leute ging alles ruhig zu, kein lautes Gerede, nein ein harmonisches Miteinander und vorallem ein freundliches „Tashi Delek“ (Hallo) mir gegenüber. Ich fühlte mich herzlich willkommen, wie immer wenn man von Tibetern umgeben ist.
Am ersten Tag schaffte ich es bis Xiewu, einem kleinen Ort in Richtung Xining. Von dort zweigte die Straße ab gen Osten, Richtung der Provinz Sichuan.
Ein paar weitere Kilometer war es noch angenehm zu fahren, dann kam der nächste Pass auf mich zu. Ein Glück war der komplette Weg bis oben geteert, trotzdem war ich froh als ich endlich oben auf 4700m angekommen war.
Wie immer war der Gipfel total in Gebetsfahnen eingehüllt, der Wind tobte und ich machte das ich weiter kam, denn es fing an zu regnen. Von nun an ging es wieder nur im Matsch weiter. Kaum später regnete es nicht mehr, sondern es schüttete wie aus Kübeln. Die Straße war eine Katastrophe, die Landschaft wie immer eine trostlose Graslandschaft. 750km hatte ich genau diese Landschaft und dieses Wetter schon hinter mir. Ich wollte nicht mehr, doch es gab nur diesen Weg.
Irgendwann hielt ich bei einem Dorf an und entdeckte einen Wintergarten, den sie hier an vielen Häusern angebaut haben. Ich hoffte darauf, darin mein Zelt aufstellen zu dürfen. Die Mutter mit ihren 3 Kindern nahm mich gerne auf und ich war heilfroh einen trockenen Platz für die Nacht zu haben.
Das Haus war nicht gerade das sauberste. Wenn die Kinder sich die Nase putzten wurde das Taschentuch einfach auf den Boden geworfen. Alles lag irgendwo rum, war dreckig und stank. Zum Abendessen gab es Reis pur, dazu ranzige Yakbutter, auf die ich verzichtete. Der Herd war lebensgefährlich. Ab und an sprühten die Funken am Trafo. Die kleine Tochter, bereits 7 Jahre alt, nuggelte zwischendurch immer wieder an der Brust der Mutter.
Es gibt keine Schule, somit ist den Kindern den ganzen Tag nur langweilig. Die Mutter besaß ein paar Yaks, die sie am Abend melkte. Mit ihren patschnassen Klamotten kam sie zurück in den kalten Raum und zog sich nichts trockenes an. Die Kinder hatten nasse Socken und rannten den ganzen Tag auf dem eiskalten Steinboden entlang. Kein Wunder liefen ihnen allen die Rotznase.
Eine Nonne kam zu Besuch, die ab und an in ihr Gebetsbuch schaute. Witzig sind ihre Kleider, denn sie verstehen das Zwiebelprinzip perfekt. Zig Lagen an Klamotten werden übereinander angezogen und oftmals mit einem Band fest gewickelt. Die rechte Schulter bleibt meistens frei, denn der Ärmel des Mantels wird am Rücken entlang herunter hängen gelassen.
Ein Radfahrer kam des Weges und ich rannte sofort runter an die Straße, und schrie so laut ich konnte, doch der Kerl hörte mich nicht. „Das kann doch nicht wahr sein“ dachte ich mir, der erste westliche Radler in dieser trostlosen Gegend und er hört mich nicht. Ein Zaun versperrte mir den Weg zur Straße, ich schrie und schrie, aber der Kerl drehte sich nicht um, bis er irgendwann im Matsch verschwand.
Ich schlief in der Abstellkammer. Ein Sammelsurium von Chaos lag dort überall verstreut.
Zum Frühstück gab es Tsampa. Die Tibetische Speise schlechthin. Gerstenmehl wird mit Yakbutter, knochenharten Yak-Käse Brocken, Yak Tee und wenn man Glück hat mit etwas Zucker verfeinert. In einer kleinen Schale knetet man nun den Teig zu einem Klumpen und wenn er weich und gut durchgeknetet ist wird er in Yak Tee getunkt und gegessen.
Ich sags ganz offen, das Zeug ist widerlich. Die ranzige Yak Butter ist ekelhaft. Den penetranten Geschmack hat man Stunden später noch auf der Zunge kleben. Ich verzichtete daher auf das Frühstück, denn ich kannte dieses kulinarische Highlight nun schon seit Wochen.
Das kleine Mädchen war ganz verrückt nach mir und platzierte meine Visitenkarte, die ich als Dankeschön hinterlies, direkt neben dem Bild vom Dalai Lama. Ich freute mich darüber, denn ein besseres Lob kann man wohl nicht bekommen.
Wieder regnete es und wieder ging es im Matsch weiter. Doch ein Glück war es bis Serxu nicht mehr weit. Eine riesen Klosteranlage mit 1200 Mönchen erwartete mich.
Als ich die goldenen Dächer sah, freute ich mich riesig. Ich kam in einem kleinen Hotelzimmer unter. Hier draußen in der Wildnis interessierte es niemanden ob ich nun Ausländerin bin oder nicht und somit konnte auch ich hier billig übernachten. Natürlich gab es keinen Strom, keine Dusche und das Klo war wie immer draußen auf dem Hof. Doch ich bekam eine Thermoskanne mit Wasser und eine Schüssel, somit konnte ich mich und meine Klamotten wunderbarmit heißem Wasser waschen.
Das Kloster war umgeben von einem Rundweg, den Gläubige wie immer im Uhrzeigersinn ablaufen und dabei an jedem Chörten, Tempel oder an jeder Mani Mauer stehen blieben und ihre Gebete aufsagten. Die meisten waren alte Menschen, oder Kinder.
Ich ging von einem Tempel oder Gebetsraum zum Nächsten. Beobachtete die Menschen und hörte den Mönchen und ihrem Gemurmele während des Gebetes zu. Die Novizen wurden ordentlich zu Recht gepfiffen, wobei dies auf eine leise und sachliche Art von statten ging, wenn sie wieder einmal mit ihrem Spielzeug spielten oder Faksen machten. Kein Wunder, so junge Kinder, denen es irre langweilig ist, stundenlang im Schneidersitz zu sitzen und Gebete zu murmeln.
Als ich zwischen den kleinen Gassen umherlief passierte allerdings etwas schreckliches. Es ging so schnell alles, dass ich nicht wußte was ich tun sollte. Fünf zähnefletschende Hunde kamen von allen Seiten auf mich zugerannt und ich hatte keine Zeit mehr noch Steine vom Boden aufzuheben um damit nach ihnen zu werfen.
Die Hunde waren direkt an meinen Beinen und kläfften irre vor sich her. Treten wollte ich nicht, denn dann hätten sie sicherlich nach meinem Fuß geschnappt. Steine wollte ich nicht aufheben, weil ich Angst um meine Hand hatte. Ich hatte Panik, ja, ich hatte richtig Angst und das merkten die Viecher. Es gibt wohl nichts blöderes als in einer solch verlassenen Gegend von Hunden zerfleischt zu werden. Ich schrie und schrie und vor lauter Verzweiflung schrie ich sogar „Hilfe, Hilfe“. Irgendwann wunderte ich mich bereits, dass diese Monster nicht zu bissen, als ein Mönch mich rettete und anfing Steine nach ihnen zu werfen.
Ich hätte heulen können, vor lauter Erleichterung, vor lauter Hass auf diese Köter, vor lauter Verzweiflung was ich in dieser Situation getan hätte, wenn sie zugebissen hätten. Ich hatte wirklich Glück gehabt. Mit schlotternden Beinen lief ich davon.
Was ich nicht verstehe ist, warum solch super herzliche Menschen, solche Köter überall herumlungern haben. Es gibt hier Hunde ohne Ende. Nachts werden sie zu Werwölfen und keiner traut sich mehr auf die Straße, selbst die Einheimischen nicht.
Ich hatte von nun an immer Steine in meiner Lenkertasche und zögerte kaum noch, sondern machte es den Einheimischen nach. Wenn wieder ein oder mehrere von diesen Hunden von irgendwoher gerannt kamen, hielt ich an und schmiss nach ihnen. Ein Glück habe ich jahrelang Handball gespielt, somit war oftmals ein Wurf ein Treffer. Viele der Monster sind angekettet, das sind die allerschlimmsten, doch ein Glück auch die ungefährlichsten.
In einem Dorf bog ich in eine Gasse ein, als ein weiterer Hund auf mich zugerannt kam und sofort nach meiner Vorderradtasche schnappte. Vor Schreck viel ich vom Rad, doch ein Glück kam der Besitzer sofort und brüllte auf ihn ein und schmiss mit Steinen nach ihm.
Es machte keinen Spaß durch die Dörfer zu fahren und Zielscheibe von irgendwelchen durchgeknallten Hunden zu sein. Ich hatte Angst vor diesen Viechern. Doch irgendwann wurde es besser, die Hunde weniger aggressiv und meistens schliefen sie dann nur noch seelenruhig neben der Straße.
Eine Nacht verbrachte ich in einem Heuschuppen, dort war ich vor den Monster Hunden sicher, eine weitere Nacht zeltete ich in einem leerstehenden Haus. Einmal hatte ich richtig Glück und durfte in einem wunderschönen Holzhaus übernachten. Die Mutter, gerade einmal 65 Jahre alt, lag im Sterben. Die vier Kinder bemühten sich sehr um sie. Die Enkelkinder waren aufgeweckte goldige Kinder. Die Familie kochte mir ein leckeres Abendessen und liesen mich in Ruhe schlafen. Das Haus war nagelneu und super sauber.
Tibeter sind unheimlich rücksichtsvolle Menschen, wobei ich sagen muß, dass sie auch sehr aufdringlich werden können. Sie kommen oftmals sehr nahe an einen heran und haben teils diesen natürlichen Abstand den man zu Fremden gewährt nicht wirklich an sich.
Auch wollen sie immer alles anlangen. Sie schrecken auch nicht davor zurück in meinen Taschen zu kruschteln und einfach etwas heraus zu nehmen oder aufzumachen. Man muß immer auf seine Sachen aufpassen, auch wenn ich nicht einmal das Gefühl hatte jemand möchte etwas klauen, aber ich möchte auch nicht, dass jeder in meinen Sachen rum schnüffelt.
Es ging nun langsam aber stetig bergab, wenn auch zwischendurch immer wieder Pässe zu überwinden waren, merkte man das sich die Vegetation endlich änderte. Als ich den dreckigsten aller dreckigsten Orte, Maningango erreichte, war ich sichtlich erleichtert, dass sich die Landschaft nun eine andere war.
In einem kleinen Restaurant bestellte ich etwas zu Essen und bekam wie immer einen Pappbecher mit heißem Wasser, dazu Einweg Stäbchen und das Essen in einer Schüssel. Nachdem ich fertig war, ging der Koch mit meiner Schüssel vor die Türe und warf einfach alle Reste, samt Becher und Stäbchen auf die Straße. Genau so sah es dort auch aus, es war widerlich. Eine riesen Müllhalde inmitten eines Dorfes.
Ein wunderschönes Bergpanorama breitete sich vor mir aus. Die ersten Bäume waren zu sehen und die Matschpiste ging in eine nagelneue, geteerte Straße über. Ich hatte das Schlimmste hinter mir, das jedenfalls hoffte ich. Zudem sah ich endlich wieder Bäume. Es war herrlich.
Zufällig hielt ich an einer schönen Klosteranlage an und traf dort zwei Westler. Einen Ami und eine Israelin. Klasse, wir unterhielten uns stundenlang auf dem Dach des Klosters und sonnten uns in den warmen Sonnenstrahlen. Umgeben von einem tollen Panorama genoss ich den Nachmittag.
Gegen Abend rollte ich noch bis Ganzi und traf die beiden nochmals zum Abendessen. Ich schlief in einem kleinen Tibetischen Hotel. Wie immer keine Dusche, keine Toilette und wie so häufig auch keinen Schlüssel. Sie haben überall immer ein Schlüsselproblem. Das Geld verlangen sie immer im voraus, man muß bevor man bezahlt also alle Punkte erwähnen und sicher gehen, dass es auch zu bekommen ist was man möchte, denn sobald man bezahlt hat, fühlt sich kaum noch jemand zuständig.
Allermeistens werden Versprechungen auch nicht eingehalten. Ich durfte aber bei den anderen beiden duschen, denn die hatten bei ihrer Hostelwahl mehr Glück gehabt als ich. Endlich eine Dusche !!! Meine Klamotten standen zudem vor Dreck, aber die wären bis zum nächsten Tag nicht trocken geworden.
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